Der Bücherblog

Archiv für die Kategorie 'Erzählungen'

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Allan Karlsson lebt in einem schwedischen Altenheim, soll an diesem Tage seinen hundertsten Geburtstag feiern – und hat überhaupt keine Lust darauf. Statt dessen beschließt er seinem Leben wie so oft in der Vergangenheit eine neue Wende zu geben, klettert heimlich aus dem Fenster seines Zimmers im Erdgeschoss und haut ab. Am Busbahnhof lässt er noch einen Koffer mitgehen, den ein unbekannter Mann ihm „zu treuen Händen“ gegeben hat und dann fährt er ins Blaue, soweit das Geld in seiner Tasche reicht.

Das ganze entwickelt sich zu einer Art Roadmovie bei dem sich Allan noch ein paar skurrile Lebenskünstler anschließen, verfolgt von einer kriminellen Rockerbande, die den gestohlenen Koffer will und von der Polizei – weil Allan bei seiner Flucht ein paar Leichen hinterlässt…

Dieser Handlungsstrang wird immer wieder unterbrochen durch Rückblicke auf Allans langes Leben. Als völlig unpolitischer Mensch gerät er immer wieder in die Mühlen der großen Weltpolitik und begegnet auf den kuriosesten Wegen den großen Staatsführern von West- und Ostblock. Dabei versucht er sich eigentlich aus jeder Form von Politik herauszuhalten und verändert doch immer wieder auf seine ganz eigene Art den Lauf der Welt.

Wochenlang Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste, jede Menge sehr guter Kritiken von den verschiedensten Seiten, was soll man zu diesem Buch noch sagen?

Ganz einfach: Lesen!

Hallgrímur Helgason: Eine Frau bei 1000°

Was für ein erster Satz für ein Buch:

Ich lebe allein in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Wir haben es wahnsinnig gemütlich.

Der Beginn ist amüsant, die Sprache der Ich-Erzählerin derb und entbehrt nicht einer gewissen Komik, auch wenn der Autor es einige Male arg überspitzt, das eigentliche Thema des Buches ist allerdings alles andere als lustig.

Die 81-jährige Isländerin Herbjörg verbringt die Zeit in ihrem Altersdomizil – der ausgebauten Garage einer befreundeten Familie – damit im Internet zu surfen und ihr Leben Revue passieren zu lassen. Während zu Beginn des Buches die aktuelle Situation von Herre, wie sie gerufen wird, und ihres Landes in Zeiten der Wirtschaftskrise im Vordergrund steht, nimmt mit der Zeit die Erinnerung an frühere Zeiten, vor allem des zweiten Weltkrieges immer mehr Raum ein, bis sie sich ganz in der Erzählung verliert.

Ihr Vater, halb Däne und halb Isländer, lässt sich von der Ideologie der Nazis anstecken und reist mit seiner kleinen Familie nach Deutschland um dort in die Armee einzutreten. Daher erlebt Herre den Krieg nicht in der relativen Sicherheit Islands, sondern mitten in Deutschland. Dort irrt sie nach der Trennung von der Mutter durch Städte, über Land und durch den Wald, immer die Handgranate dabei die ihr Vater ihr bei der letzten Begegnung gegeben hatte, damit sie sich wehren kann.

Das Thema zweiter Weltkrieg ist natürlich nicht gerade neu, eine ganze Reihe von Autoren haben sich dem schon angenommen und dementsprechend hat sicher nicht jeder Lust noch ein weiteres Buch darüber zu lesen. Allerdings sticht dieses Buch durch die ungewöhnliche Perspektive und die Erzählweise heraus und bleibt trotz des schweren Themas lesbar. Ähnliches gilt für ein weiteres Buch über das ich auf jeden Fall noch schreiben möchte, nämlich Die Bücherdiebin. Wenn an ein Thema auf so ungewöhnliche Weise heran gegangen wird, kann es dem Leser doch immer noch neues bieten auch wenn dazu schon viel geschrieben wurde.

Daher kann ich das Buch durchaus empfehlen, mit dem kleinen Abstrich den ich oben schon genannt hatte: die derbe Sprache der Erzählerin wirkt meiner Meinung teils doch recht übertrieben.

Sam Savage: Firmin – Ein Rattenleben

Ein Buch über das Lesen und die bedingungslose Liebe zum Buch – aus der Sicht einer Ratte!

Firmin wächst in einer großen Rattenfamilie auf, die geradewegs über einer Buchhandlung lebt. Schon in jungen Jahren wird er in seiner Familie zum Außenseiter. Als schwächster unter den Jungratten bekommt er kaum genug Nahrung ab und fängt an Bücher zu verschlingen, erst wortwörtlich aber mit der Zeit lernt er auch zu lesen und den Inhalt zu „verschlingen“.

Darüber entwickelt er ein enormes Interesse am Leben der Menschen und sucht ihre Freundschaft, insbesondere die des Besitzers der Buchhandlung. Aber so gut er auch lesen kann, sprechen funktioniert einfach nicht und so bleibt es ein einseitiges Interesse und er bleibt für die Menschen doch nur eine Ratte. Ihr merkt schon: das ist nicht „Ratatouille“ wo Mensch und Ratte in gemeinsamer Liebe zum kochen vereint sind, diese Geschichte nimmt eher einen tragischen Verlauf.

Erst sind da die Probleme mit der eigenen lieblosen Familie, dann die unerwiderte Zuneigung zu den Menschen und die unerfüllte Sehnsucht nach Freundschaft, Zuneigung und Respekt. Was bleibt ist die Liebe zum Buch die geradezu zu einer Sucht wird, während die Welt um ihn herum immer einsamer wird.

Dieses Buch eignet sich für jeden, der das Lesen liebt, einen Hang zur Melancholie hat, und über eklige Schilderungen vom Leben in einer Rattenfamilie hinweg sehen kann; ich fands gut, meine Frau konnte es nicht lesen.

Martin Suter: Der Koch

Der schweizer Autor Martin Suter hat mit diesem Buch einen Roman über die Sinnlichkeit des kochens und mehr noch des essens vorgelegt.

Der Tamile Maravan, vor dem Bürgerkrieg auf Sri Lanka in die Schweiz geflohen, hat in seiner Heimat von der Großtante Nangay die Kunst des Kochens gelernt. Die aphrodisierenden Gerichte der ayurvedischen Kochkunst kombiniert er mit Verfahren aus der modernen molekularen Küche und erzielt so eine unglaubliche Wirkung: Hemmungen fallen, erkaltete Gefühle flammen wieder auf, Paare die so gar nicht recht zueinander passen wollen landen unweigerlich miteinander im Bett.

Wegen seines Aufenthaltsstatus darf er nur als Küchenhilfe arbeiten, im Nobelrestaurant Chez Huwyler verguckt er sich in seine Kollegin Andrea. Als beide gekündigt werden gründen sie im Verborgenen den Cateringservice Love Food.

Erst arbeiten sie mit einer Eheberaterin zusammen, die mit beachtlichen Erfolgen Paare in der Krise zu ihnen schickt. Als wegen eines dummen Fehlers von Andrea diese Zusammenarbeit endet, müssen sie sich neue Kunden erschließen.

Dann wird die Sache schmutzig und sie geraten an äußerst zwielichtige Geschäftsleute, von denen sie für erotische Menüs mit Prostituierten gebucht werden.

Einer davon ist Dalmann, der sich selbst zwar nicht die Finger schmutzig macht sondern als klassischer Networker nur Kontakte vermittelt, damit spielt er aber eine Schlüsselrolle bei Geschäften von Waffenschiebern und auch für den weiteren Verlauf des Romans.

Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise, immer wieder wird auf Ereignisse angespielt, die wir noch gut in Erinnerung haben. Ein weiteres großes Thema ist der oft schmutzig geführte Kampf der LTTE, der Befreiungstiger von Tamil Eelam, dem Maravan so gar nichts abgewinnen kann – in den er aber selbst im Exil in Zürich noch unfreiwillig verstrickt wird.

Im nachhinein fand ich das Buch gut und kann es durchaus empfehlen, auch wenn ich eine etwas andere Erwartungshaltung hatte. Ich hatte „normalere Gerichte“ erwartet, diese molekulare Küche sagt mir nicht viel, dafür bin ich vielleicht auch einfach zu bodenständig. Kochen und essen kann meiner Meinung nach so schon sinnlich genug sein, ohne dass man sich so eine Art „Zaubermenü“ ausdenkt bei dem jeder sofort schwach wird. Für die Handlung ist das allerdings unerlässlich, sonst funktioniert die Geschichte nicht, daher konnte ich mich beim lesen dann auch damit versöhnen. Die Rezepte aus dem Buch die er am Ende noch mal angehängt hat, sind auch dementsprechend nicht wirklich nachkochbar, ich habe nun mal keinen Rotationsverdampfer in der Küche stehen.

Elke Heidenreich/Quint Buchholz: Nero Corleone kehrt zurück


Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass hier einfach die Geschichte des schwarzen Katers Nero Corleone weiter erzählt wird, aber dem ist nicht so. Vielmehr geht es hier darum, wie sich Isoldes und Roberts Leben weiter entwickelt hat und wie sich die beiden im Laufe der Jahre verändert haben.

Rückblende: Vor vielen Jahren haben Isolde und Robert den Kater Nero und die Katze Rosa aus dem Urlaub in Italien mit nach Köln genommen. Als sie dann wieder Urlaub in Italien gemacht haben, hat sich Nero entschlossen in Italien zu bleiben und Robert und Isolde sind mit Rosa alleine nach Köln zurückgekehrt.

Isolde ist nach Italien zurückgekehrt und möchte ihr Leben vielleicht von nun an dort verbringen, sie und Robert haben sich getrennt. Die beiden haben aber dennoch weiterhin Kontakt. Isolde ist mittlerweile mit Justus liiert wobei sie aber noch nicht weiß, ob er denn jetzt der richtige ist.

Ob ihr Wunsch Nero wieder zu sehen in Erfüllung geht müsst ihr selber herausfinden! Ich kann für diese Buch eine absolute Leseempfehlung geben.

Nero Corleone von Elke Heidenreich mit wunderschönen Illustrationen von Quint Buchholz ist im Hanser Verlag erschienen.