Der Bücherblog

Archiv für die Kategorie 'Erinnerungen'

Miriam Pielhau: Fremdkörper

Miriam Pielhau beschreibt in dem Buch ihren Umgang mit der Diagnose Brustkrebs und das auf eine sehr ermutigende und starke Weise. Sie lässt den Leser und die Leserin an ihrem Leben ein Stück weit teilhaben und erklärt wie schwer es ist die Kontrolle abzugeben. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die klare Sprache. Sie beschönigt nichts  und verzichtet vollends auf eine blumige Sprache, sie benennt die Dinge so wie sie sind, ohne wenn und aber. Für sie ist das Joggen eine Hilfe mit dem Brustkrebs und den Folgen der Chemotherapie fertig zu werden, sie macht dem Leser aber klar, dass ihre Art der Verarbeitung nicht die allgemein gültige ist.

Das ganze Buch vermittelt in jeder Zeile Hoffnung und den absoluten Willen zu überleben. Das sieht man schon daran, dass sie in Woche 22 nach Beginn der Chemotherapie einen Halbmarathon läuft!

Ich habe beim Lesen des Buches ganz viel geweint, oft aus Mitgefühl doch mehr noch vor Freude. Ich habe Miriam Pielhau immer nur als Eins live Moderatorin und schlimmer noch als Big Brother Moderatorin erlebt aber nach der Lektüre diese Buches sehe ich sie als ganz anderen Menschen. Sehr sympathisch und stark aber auch oft unheimlich schwach, was aber okay ist weil sie klar macht das es nicht schlimm ist schwach zu sein.

Ich kann das Buch nur empfehlen – warum? weil es Hoffnung und Optimismus verbreitet.

Fremdkörper ist im mvgverlag erschienen.

Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst

Joachim Gauck wurde 1940 in Rostock geboren, er studierte Theologie und war viele Jahre als evangelischer Pfarrer tätig. Von 1990 bis ins Jahr 2000 war er der erste Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit, soviel erstmal zur oberflächlichen Vita von Joachim Gauck.
In diesem Buch geht es um seine Kindheit und Jugend in der noch nicht “verschlossenen” DDR und dann als großen Sprung um sein Leben und die nicht vorhandene Akzeptanz für den Staat DDR, im folgenden um den Umbruch und letztlich den Untergang des Unrechtsstaates. Was mich in diesem Buch so beeindruckt ist zum einen der innere und äußere Widerstand von Gauck gegenüber dem Staat und das nicht hadern mit seinem Leben in der DDR. Zum anderen sind es die kleinen Geschichten von Menschen die auf ihre Weise „Chuzpe“ gezeigt haben und dem Staat widerstanden haben, zum Beispiel Frau Beyer. Frau Beyer wollte am 13 Dezember 1981 unbedingt den Bundeskanzler Helmut Schmidt sehen, der zu Besuch in der ostdeutschen Stadt Güstrow war. Die Staatssicherheit hat die ganze Stadt abgeriegelt damit keine unliebsamen Sympathiebekundungen für Schmidt seitens der Bevölkerung aufkommen. Frau Beyer verlangte an diesem Tag eine Fahrkarte nach Güstrow, der Schalterbeamte sagte ihr dass an diesem Tag kein Zug nach Güstrow fährt, sie antwortete schnippisch: „Ich habe Sie nicht gefragt ob ein Zug fährt, sondern ich habe um eine Fahrkarte gebeten“. Der Schalterbeamte sagte: „Wozu brauchen Sie eine Fahrkarte, wenn kein Zug fährt?“ Frau B: „Das ist meine Sache. Ich möchte eine Fahrkarte nach Güstrow kaufen“.

In Güstrow angekommen, marschierte Frau Beyer geradewegs in Richtung Marktplatz, notgedrungen mitten auf der von leichtem Schneematsch bedeckten Fahrbahn, denn auf den schmalen Bürgersteigen standen Schulter an Schulter Volkspolizisten. »Wohin wollen Sie? Der Aufenthalt auf der Straße ist verboten«, versuchte ein Mann in Zivil sie aufzuhalten, der sich aus den Reihen der Polizisten gelöst hatte und auf sie zugeeilt war. Frau Beyer konterte: »Frage ich Sie etwa, was Sie hier machen?« Der Mann in Zivil erkundigte sich nicht einmal mehr nach ihrer Legitimation, obwohl nur Anwohner, Mitglieder der Staatssicherheit und Journalisten Zugang zum weiträumig abgeriegelten Areal hatten. Wer mit solcher „Kaltschnäuzigkeit“ auftrat konnte nur selbst von der Stasi sein. Frau Beyer erreichte ihr Ziel: Zwar konnte sie dem Bundeskanzler nicht die Hand schütteln, aber sie hat ihn durch einen Ring von Sicherheitsbeamten wenigstens leibhaftig gesehen. Das war für sie ein großer Triumph.

Genau diese Geschichten haben mich in diesem Buch sehr angerührt. Frau Beyer, Ulrike und zig andere beschriebene Personen die immer im kleinen ihren Widerstand deutlich gemacht haben, trotz großer Angst vor Repressalien stark waren. Die Lektüre dieses Buchs hat mir einmal mehr vor Augen geführt, was für ein Unrechtsstaat die DDR war, auch wenn heute viele in die sogenannte Ostalgie verfallen. Wenn Menschen heute sagen: »Unrechtsstaat? Es war doch nicht alles schlecht am Sozialismus!« und glänzende Augen bekommen wenn sie nur DDR hören, dann sollten sie dieses Buch lesen und so erfahren wie unmenschlich und verachtenswürdig dieses System von Angst und Unterdrückung war.

Die SED preiste beständig die Menschlichkeit des sozialistischen Systems an, in ihrem Verhalten war die Arroganz der Übermächtigen aber so grenzenlos, dass sie vor keiner Missachtung der Persönlichkeitsrechte zurückschreckten und, wenn es keinen anderen Weg zum Ziel zu geben schien, wie kriminelle Erpresser auftraten.

Im letzten Kapitel geht es um die ganz persönliche Freiheit die Joachim Gauck für sich definiert, dafür noch einmal ein direktes Zitat aus dem Buch, das mir wieder vor Augen geführt hat in was für einem bemerkenswerten Land ich lebe.

»Wo ich jetzt lebe«, so höre ich mich sagen, »möchte ich sein, aber ich kann immerfort auch gehen. Wo ich jetzt lebe, habe ich Grundrechte, garantiert durch die Verfassung: Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, die Freiheit der Berufswahl, Versammlungsfreiheit, Forschungs- und Veröffentlichungsfreiheit. Wo ich jetzt lebe, gründen Menschen von sich aus Vereine, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und Parteien und übernehmen Verantwortung in ihnen. Kritik, Diskurs und Dissens gelten als Normalfall der politischen Kultur und nicht als politisch-ideologische Diversion, Untergrundtätigkeit oder politische Straftat. Wo ich jetzt lebe, existiert die Herrschaft des Rechts, notfalls kann ich meine Rechte auch einklagen. Es gibt den freien Markt, aber auch ein soziales Netzwerk – wer bedürftig ist, erfährt Unterstützung. Und seit mehr als sechzig Jahren hat dieses Land kein anderes überfallen, es lebt mit allen Nachbarn in Frieden.

Ich kann das Buch nur empfehlen, es ist für Menschen die politisch und historisch interessiert sind, geschrieben. Winter im Sommer – Frühling im Herbst ist im Siedler Verlag erschienen.